Jürgen Heiter

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Jürgen Heiter: »Die Stelle im Wald [Der gerissene Faden]«  



[1] [Der gerissene Faden]
 
Ausgangspunkt in Klammern/Überblendungen - Namen und Orte; Italienische Reise [Viaggio in Italia]... Als im Jahre 1963 Godard, ein Schüler Rossellinis [der Vater des Vaters meines Vaters etc.], die Bardot auf den Treppen der Casa Malaparte [1940 für den Schriftsteller Curzio Malaparte [Kaputt; Die Haut] erbaut von Adalberto Libera, einem der führenden modernistischen Architekten der EUR] dabei filmte, wie sie vor Piccoli in den Tod flüchtete, war Roberto Rossellinis Film Viaggio in Italia erst 10 Jahre alt. Rossellinis Film schlug eine Bresche und das Kino, das folgte, musste dort hindurch - unter Androhung der Todesstrafe wie Rivette schrieb. Heute kann man Viaggio in Italia nur noch in Filmarchiven sehen. Es gibt kein Kino mehr, nur noch Filme, der Faden ist gerissen und die Formen sind kaputt. Wir kennen die Stelle im Wald nicht mehr, wissen kein Feuer mehr zu entzünden und kennen auch das Gebet nicht mehr, aber wir können die Geschichte noch erzählen.
 

[2] Die Stelle im Wald 
In den Resten einer Erzählung - keine Handlung, allein ein Sehnen danach - kreuzen sich die Wege einiger Personen, im Zentrum: Zwei Paare, von denen eins auseinander, eins aufeinander zu treibt – dahinter ein fünfter, der ein Forscher sein könnte oder auch ein Finanzier; sicher aber ist er ein Liebhaber. Eine Geschichte über die Liebe, das Kino, und die Architektur (moderner Gefühle wie Bilder) in zwei Ländern, Kulturen auf der Suche nach ihren Zusammenhängen.  

[3] [Diskurs/diskontinuierlicher Kurs] 
Diese Geschichte der beiden Paare wird überlagert, durchsetzt von essayistischen Momenten, die sich, auf ihre Weise, mit der cinematografischen Moderne befassen – das Reich des Forschers/Liebhabers. In diesem Zusammenhang geht der Film einigen Aspekten der faschistischen und, dazu kontrapunktisch, der modernistischen Architektur Italiens nach - in Rom das Stadtviertel EUR; Sabaudia; Casa Malaparte auf Capri. Die essayistische Ebene enthält auch Gespräche, die eine der fiktiven Gestalten des Films [der Forschende] mit zwei realen Protagonisten der filmischen Moderne führt. Zum einen ein Gespräch in Paris mit Raoul Coutard, dem wichtigsten Kameramann des europäischen Autorenkinos; Coutard fotografierte 1963 für Jean-Luc Godard den Film Le Mepris [Die Verachtung]. Le Mepris wurde zu einem großen Teil auf Capri in/auf der Casa Malaparte gedreht, einem exemplarischen Bau modernistischer Architektur. Das zweite Gespräch führten wir in Rom mit Paolo Brunatto, einem Experimental- und Dokumentarfilmregisseur, der 1973 mit Pier Paolo Pasolini einen Kurzfilm über die Architekturen der italienischen Städte Sabaudia und andere Orte drehte. Pasolini formuliert hier seine Position zum Verfall nicht nur Italiens durch den Neokapitalismus. Brunatto schenkte uns eine etwa 3-minütige Sequenz aus  Un’ anima bella, die wir in unseren Film übernehmen.  

[4] Lobgesang/Inszenierung der Stimmen [Bilder und Töne] 

Wie eine Musik, ein Lobgesang, durchziehen den Film emphatische Reden - die Notizen, Gedanken der Figur des Forschers -, aufgenommen in wörtlicher Rede und gesungen/ gesprochen von Sven Åke Johansson. Ein Beispiel:    

»Es gibt eine sehr schöne Geschichte
 
von Rossellini, über seinen fast unirdischen Film 
Blaise Pascal, wo man ihn mal darauf ansprach, 
warum er einen Film über Pascal gemacht hatte, 
und er meinte dann zuerst,  
er habe eigentlich keinen Film über Pascal gemacht. 
Pascal wäre nur der Aufhänger gewesen. 
Dieser Pascal, der Mann war ja furchtbar langweilig.  
Dieser Pascal, der war nur krank und hat im bett gelegen 
und er hatte nie eine Frau und hat immer gehustet 
und er war krank und hat geschrieben.  
Um Pascal geht es überhaupt gar nicht in dem Film.
Worum es geht, ist das Vakuum, 
ist das Vakuum im Herzen des Menschen, 
das Pascal beschrieben hat und das Rossellini filmen wollte und gefilmt hat. 
Wichtig ist, wie das Motiv des Vakuums gebaut wird, 
und wichtig ist, wie Rossellini dieses Vakuum filmt.  
Er filmt das Vakuum als den leeren Raum zwischen den Menschen 
Und er zoomt immer wieder in diesen Raum hinein 
Und er fängt immer wieder an, dieses Nichts zu filmen 
Ein Nichts zwischen Leuten. 
Es gibt kaum einen Film wahrscheinlich, der jemals gedreht wurde, 
wo so offensichtlich nichts zwischen den Leuten ist. Gar nichts. 
Mensch – Mensch – leerer Raum 
Luft – Luftdruck. Richtig. Aber: 
In der Luft wiederum ist ein Vakuum 
Und dieses Vakuum, das ist das, was dann Pascal selber später als 
Die Langeweile – »longui« – stilisiert hat. 
Pascal war mehr oder weniger der Erfinder des Nichts in der Sprache.
Und Rossellini hat das Nichts in der Sprache gefilmt, 
in dem er das Nichts in den Räumen filmte.«    


Diese Texte überlagern andere Texte, mischen sich mit Tönen, alle gemeinsam bilden den Klang, die Klangfarbe des Films. Bilder überlagern diese Klangfarben, mischen sich mit ihnen, sind zeitgleich, im selben Moment, zugleich miteinander, zugleich niemals miteinander, aber eben doch: die Berührung findet im Zuschauer statt.
   

- Petra Kaiser -  


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