Jürgen Heiter

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ÜBER DIE FILME VON JÜRGEN HEITER

„Der Essay spricht immer von etwas bereits Geformten, es gehört zu seinem Wesen, dass er nicht neue Dinge aus einem leeren Nichts heraushebt, sondern bloß solche, die schon lebendig waren, aufs Neue ordnet. Und weil er sie nur aufs Neue ordnet, nicht aus dem Formlosen etwas Neues formt, ist er auch an sie gebunden, muss er immer „die Wahrheit“ über sie aussprechen. Ausdruck für ihr Wesen sein.“

Dieses Zitat von Georg Lukacs aus seinem Essay „Die Seele und die Formen“ lässt sich meiner Meinung nach sehr gut auf die Filme von Jürgen Heiter anwenden.
Auch sie sprechen über etwas Geformtes – über Orte – die Buchhandlung König, den Bahnhof Rolandseck – die Kleinstadt Olevano in Italien, stellen diese Orte nicht dokumentarisch dar, sondern forschen nach den Kräften an diesen Orten, nach Strukturen, Bewegungen, danach, was die Orte mit den Menschen machen und was die Menschen mit den Orten machen.

Jürgen Heiter erzählte mir, dass er, bevor er mit der Kamera an einen Ort geht, wochenlang diesen Ort beobachtet, um dessen Wechselspiele - und Wirkungen kennen zulernen. Dann erst nähert er sich mit der Kamera, mit Schauspielern, mit Texten, sprich: er schafft neue Anordnungen, bringt weit auseinander liegende Ideen zusammen, um die „Wahrheit“ über einen Ort auszusprechen und - um noch einmal mit Lukacs zu sprechen, seine Filme „Ausdruck für das Wesen“ der Orte sein zulassen.

So ließe sich eine Parallele zwischen den Filmen von Jürgen Heiter und der literarischen Gattung des Essays zu ziehen.

Es gibt noch weitere Parallelen: die Betonung der subjektiven Phantasie, musikalisch fließende Übergänge, die Querverbindungen von Ideen, für welche die diskursive Logik keinen Raum hat, eine Ironie, die - bei aller Nähe zum Gegenstand des Films - einen souveränen Umgang mit dem Objekt des Films ermöglicht und die deshalb auch immer Selbstironie sein muss, eine Auseinandersetzung mit dem Wechselnden, den Ephemeren, dem Vergänglichen, in dem sich das individuelle Dasein abbildet.

Letztlich gilt für Jürgen Heiters Filme auch Adornos Diktum über den Essay: Ihr Inneres Wesen ist ketzerisch, sie sind provokant, herausfordernd gegenüber den Sehgewohnheiten, die durch das Kino geprägt sind, die oberflächliche Illusion die sich als Realität ausgibt. Die Filme Jürgen Heiters weisen ständig auf ihren Status des Künstlichen hin, sperren den Zuschauer nicht in eine Illusion ein wie in ein Einmachglas und begrenzen sein Denken nicht auf diesen kleinen Raum.

Mit jeder neuen Sequenz, jedem Element nimmt Heiter einen Anlauf gegen das Kino, einen Anlauf hin zu den tieferen Schichten der Realität.

Thomas Böhm
Literaturhaus Köln




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